Ruhe nicht in Frieden by Horst Jørn Lier

Ruhe nicht in Frieden by Horst Jørn Lier

Autor:Horst, Jørn Lier [Horst, Jørn Lier]
Format: epub
veröffentlicht: 2020-02-15T16:00:00+00:00


EINUNDDREISSIG

Der Zigarettenrauch, den Josef Wrangsund im Raum hinterlassen hatte, stieg in Schwaden an die Decke und bildete für einige Augenblicke abstrakte Formen, ehe er sich auflöste. Wisting erhob sich und öffnete das Fenster. Die hereinströmende Luft war klamm und feucht, trotzdem fühlte sie sich angenehm kühl und frisch an.

Noch immer hingen graue Regenwolken über der Stadt und ließen die Landschaft farblos erscheinen. Draußen, wo sich die Bucht zum Meer öffnete, meinte er dennoch einen Riss in der Wolkendecke zu erahnen. Hatte irgendein Meteorologe im Radio etwa verkündet, dass der Sommer unterwegs war? Wisting kam der Name, den er während des Gesprächs mit Wrangsund aufgeschrieben hatte, wieder in den Sinn. Er setzte sich hinter seinen überfüllten Schreibtisch und betrachtete den Zettel. Sein plötzlicher Einfall war ihm vorhin so vernünftig und logisch erschienen, jetzt aber, mit ein bisschen Abstand, wirkte er ganz dumm und naiv.

Mit einem tiefen Seufzer sah er dem letzten Rest Zigarettenrauch hinterher aus dem Fenster. Er war doch alt genug, um seiner Intuition zu vertrauen. Seine Finger trommelten rastlos auf die Schreibtischplatte, schließlich holte er die interne Telefonliste hervor, nahm den Hörer ab und wählte eine Privatnummer.

«Ja, bitte?», erklang Ebbas Stimme am anderen Ende der Leitung.

Wisting schielte auf ihren Namen, der mitten auf seinem Notizblock prangte, dann meldete er sich.

«Aha», sagte Ebba kurz. «Um was geht es?»

«Warum hast du gefragt, ob die Verjährungsfrist für Mord fünfundzwanzig Jahre beträgt?» Wisting kam gleich zur Sache.

«Ja, also ...», begann Ebba unsicher. «Du rufst an, um danach zu fragen?»

«Es ist wichtig», antwortete Wisting und hörte selbst, wie ungeduldig seine Stimme schnarrte.

«Du bist ja nie in deinem Büro», sagte Ebba.

Wisting atmete energisch und entnervt in den Hörer und hoffte, dass Ebba den Wink verstand und schnell und kurz antwortete.

«Ich habe zu dir durchgestellt, aber das Gespräch kam zurück, weil du nicht drangegangen bist», fuhr Ebba fort. «Du hattest aber auch nicht umgestellt. Ihr müsst euch mal angewöhnen, die Abwesenheitsmeldung am Telefon zu benutzen ... »

«Ebba!»

«Naja, der Anruf war eigentlich nicht für dich. Sie wollte einfach mit einem Polizisten sprechen, und du weißt ja auf fast alles eine Antwort, aber weil du nicht da warst, dachte ich, dass ich vielleicht helfen könnte.»

«Und was wollte sie wissen?»

«Die Verjährungsfrist. Sie wollte wissen, wie viele Jahre nach einem Mord der Täter straffrei ausgeht. Ich habe fünfundzwanzig Jahre gesagt. Ich war ein bisschen unsicher, aber es stimmte ja. Eigentlich ist das vollkommen verkehrt. Ein Mörder sollte nie einfach davonkommen dürfen. Wenn man so etwas Schlimmes gemacht hat... »

«Wer hat denn eigentlich angerufen?», unterbrach Wisting.

«Sie hat ihren Namen nicht genannt. Das tun nur sehr wenige. Eine schreckliche Angewohnheit. Man sollte sich immer vorstellen ... »

«Wann war das?»

«An dem Tag, an dem die Sache mit dem Skelett in der Zeitung gestanden hat. Das war doch am Dienstag, oder nicht? Ich dachte, es sei jemand, der davon gelesen hatte und neugierig geworden war.»

«Um welche Uhrzeit?»

«Kurz bevor ich nach Hause gegangen bin.»

«Und das heißt?»

«Kurz vor vier. Zehn vor oder fünf vor vier, glaube ich.»

Wisting dankte für ihre Auskunft und entschuldigte sich für die Störung an ihrem freien Tag.



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